Lesebrief zum FAZ-Artikel “Wer den Wein verteufelt, versteht das Leben nicht”

Sehr geehrter Herr Strobel y Serra,

mit großem Staunen habe ich Ihre Lobpreisung des Weines gelesen. Fast fühlte ich mich in eine Zeit zurückversetzt, in der das Rauchen noch als Symbol von Freiheit und intellektuellem Esprit galt und der Marlboro-Mann unbehelligt durch die Prärie ritt.

Doch während Sie wortgewaltig das Hohelied des Weines anstimmen und den Verzicht als freudlose Askese denunzieren, fällt ein bemerkenswertes Muster auf:
Sie ignorieren – oder verdrehen – systematisch die wissenschaftlichen Fakten zum Alkohol. Die Weltgesundheitsorganisation, kanadische Gesundheitsbehörden, selbst konservative Fachgesellschaften weisen längst nach, dass jeder Konsum schadet. Das ist keine inquisitorische Spiegelfechterei, sondern nüchterne Forschung.

Stattdessen diffamieren Sie jene, die sich aus gesundheitlicher Einsicht oder nach schwerem Leiden für ein nüchternes Leben entscheiden, als moderne Pharisäer. Menschen, die vielleicht der Sucht entrungen sind oder deren persönliche Erfahrung mit Alkohol wenig Romantik, aber viel Schmerz verbindet. Sie sprechen ihnen ab, das Leben zu verstehen. Ist das nicht genau jene Intoleranz, die Sie den “Abstinenzlern” unterstellen?

Noch frappierender ist Ihre Haltung gegenüber Wissenschaftlern. Sie nennen sie pauschal „Gesundheitsprohibitionisten“, als sei Forschung eine Art verkappter Tugendterror. Doch wäre es nicht an der Zeit, die eigene Argumentation zu hinterfragen, wenn man sich nur noch mit Spott und Sarkasmus gegen Fakten zur Wehr setzt?

Ihr Text lässt zudem einen erschreckend blinden Fleck erkennen: die Verantwortung der Öffentlichkeit und Ihrer Redaktion für Suchtkranke und gefährdete Gruppen. Die Leichtigkeit, mit der Sie Werbung für ein Nervengift machen, das in Deutschland jährlich tausende Todesfälle, Milliardenkosten und unzählige zerstörte Existenzen verursacht, ist atemberaubend.

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass Ihre Redaktion einen Moment innehält und sich fragt, welche Signale sie mit derartiger Glorifizierung sendet – und ob nicht auch persönliche Narrative kritisch geprüft werden sollten, bevor sie in den gesellschaftlichen Diskurs eingespeist werden.

Mit freundlichen Grüßen
Kater. Sucht. Freiheit. / #alkoholfreiekasse


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Wenn Glorifizierung gefährlich wird: Unsere Antwort auf das FAZ-Feuilleton

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